Exkurs: Zeit- und Frequenzverhalten des Integrierers

Beim Versuch zum Integrierer haben wir den Eingang manuell mit Eingangsimpulsen angesteuert. Das war möglich, weil wir den Widerstand und den Kondensator so groß gewählt haben, dass sich eine große Zeitkonstante ergab. In den meisten Fällen wird der Intergrierer aber mit periodischen Impulsen oder Wechselspannungen angesteuert. Mit einem Oszilloskop lassen sich die Vorgänge gut verfolgen, aber da wahrscheinlich keines zur Verfügung steht, wollen wir stattdessen die Zusammenhänge zumindest gedanklich nachvollziehen. Dazu stellen wir uns zunächst vor, wir würden dem Integrierer ein Rechtecksignal zuleiten. Wenn wir sowohl das Eingangssignal als auch das Ausgangssignal auf einem Zweistrahl-Oszilloskop betrachten würden, sähe das etwa folgendermaßen aus:

Bild 1:
Diese Veränderung der Signalform ist relativ leicht nachzuvollziehen. Liegt am Eingang der positive Teil des Rechteckimpulses, nimmt die Ausgangsspannung gleichmäßig ab - und umgekehrt. Zur Erinnerung: Der Integrator arbeitet invertierend.

In ähnlicher Form können wir überlegen, wie das Ausgangssignal bei einem unsymmetrischen, rechteckigen Eingangssignal aussieht (der positive Teil ist z.B. länger als der negative).

Bild 2:
Schwieriger wird es bei einem sinusförmigen Signal. Aber es gibt Anhaltspunkte. Immer dann, wenn das Eingangssignal z.B. den positiven Spitzenwert erreicht hat, fällt die Ausgangsspannung am schnellsten ab - und umgekehrt. Oder immer dann, wenn das Eingangssignal die "Nulllinie" durchquert, kommt es beim Ausgangssignal zur Richtungsumkehrung.

Wir können aber auch eine mathematische Formelsammlung heranziehen: Durch Integration einer Sinusfunktion entsteht eine Cosinusfunktion, und die wiederum ist nichts anderes als eine um 90° phasenverschobene Sinusfunktion.

Bis jetzt haben wir uns keine Gedanken über die Größe von R und C gemacht. Tatsächlich ist es so, dass diese beiden Komponenten einen erheblichen Einfluss auf die Ausgangsamplitude haben. Schauen wir an, was geschieht, wenn wir die beiden Komponenten vergößern, also die Zeitkonstante heraufsetzen.

Bild 3:
Dazu greifen wir wieder das leichter nachzuvollziehende Beispiel mit den Rechteckimpulsen auf:

Beobachtung: Das Ausgangssignal erscheint mit kleinerer Amplitude. Aufgrund der größeren Zeitkonstante wird langsamer aufgeladen und entladen. Entsprechend flacher verläuft der Anstieg, und so kommt es schon bei kleineren Ausgangsamplituden zu einer Umkehrung des Ladevorgangs.

Bild 4:
Nun der umgekehrte Fall: R und C werden kleiner dimensioniert (in diesem Fall zu klein). Der Anstieg des Ausgangssignals ist so steil, dass der OP in die Sättigung gerät. Die Spitzen des Dreieckssignals werden gekappt.

Bild 5:
Auch von der Frequenz hängt die Ausgangsamplitude ab. In diesem Fall wurde die Frequenz gegenüber der Frequenz von Bild 3 verdoppelt. Folge: Durch die kleineren Lade- und Entladezyklen können sich nur noch geringere Spannungen einstellen.

Die Größe des Ausgangssignals hängt von der durch C und R eingestellten Zeitkonstanten und der Frequenz ab. Je größer die Zeitkonstante und je höher die Frequenz, desto geringer die Ausgangsamplitude. Um einen definierten Ausgangspegel zu erhalten, muss die Zeitkonstante der Frequenz angepasst werden, was jedoch auf Schwierigkeiten stößt, wenn die Frequenz sich ändert.


Zur Vertiefung

Zeit- und Frequenzverhalten

Bei den bisherigen Überlegungen haben wir untersucht, wie sich die augenblickliche Eingangs- bzw. Ausgangsspannung in Abhängigkeit von der Zeit verhält. Bei periodischen Vorgängen reicht es, eine einzelne Periode zu betrachten. Das geeignete Instrument für solche Untersuchungen ist das Oszilloskop. Nur sehr langsame, einmalige Vorgängen können wir auch mit einem normalen Messgerät untersuchen. Die Betrachtung des Zeitverhaltens einer Schaltung liefert uns Aufschlüsse über Kurvenformen, Signallaufzeiten usw.

Betrachten wir dagegen das Frequenzverhalten einer Schaltung, gehen wir die Sache pauschaler an. Wir untersuchen, wie sich die Schaltung in Abhängigkeit von der Frequenz verhält. Dabei geht es um Dinge wie z.B. den "Frequenzgang", also den frequenzabhängigen Verstärkungsfaktor. Oder wir messen den Klirrfaktor, der den Anteil unerwünschter Oberwellen zum Ausdruck bringt.

Bei Überlegungen zum Frequenzverhalten werden typischerweise alle Schwingungsformen auf reine Sinusschwingungen reduziert. Das ist durchaus erlaubt, denn jede denkbare Schwingungsform läßt sich aus Sinusschwingungen zusammensetzen. Dabei wird die Grundfrequenz mit ganzzahligen Vielfachen davon, den Oberwellen, überlagert. Je spitzer ein Signal erscheint, desto höher muss die erzeugte oder durchgelassene Frequenz sein. Man könnte es auch so formulieren: Eine Ecke kann nur so scharf sein wie die Sinuswelle mit der höchsten vorkommenen Frequenz.

Beide Betrachtungsweisen stehen im engen Zusammenhang. Dazu ein Beispiel: Wir betrachten eine symmetrische Rechteckspannung mit dem Oszilloskop und stellen fest, dass die Kurvenform nicht ideal ist, denn u.a. sind die Ecken abgerundet (verschliffen).Die Schaltung ist offenbar nicht schnell genug, um scharfe Impulsformen abzugeben. Schelligkeit ist ein aber typisches Merkmal des Zeitverhaltens. Unter dem Aspekt des Frequenzverhaltens würden wir dagegen feststellen, dass hohe Frequenzen gegenüber den tiefen Frequenzen gedämpft werden, weil die zur Schärfung der Ecken erforderlichen Oberwellen fehlen. Eine Schaltung mit einem solchen Verhalten nennt man Tiefpass.

Die Tatsache, dass ein Integrierer ein Tiefpass ist, erschließt sich aber noch auf andere Weise. Bekanntlich hat jeder Kondensator einen Wechselstromwiderstand, der mit steigender Frequenz abnimmt. Andererseits wissen wir, dass die Verstärkung eines OP mit dem Widerstand im Gegenkopplungszweig zunimmt. Da beim Integrator der Kondensator im Gegenkopplungszweig liegt, werden höhere Frequenzen logischerweise schwächer verstärkt. Also ein Tiefpass.


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