Epilog: Nachhaltigkeit

In einem Fotoclub traf ich vor einiger Zeit einen jungen Mann, der als Fotojournalist arbeitete und gerade von einem Thailand-Trip zurückgekehrt war. Ich kannte ihn von früher, da er aus meinem Heimatort stammte. Seine Berufswahl überraschte mich einigermaßen. "Och", erklärte er mir, "daran ist mein ehemaliger Physiklehrer schuld." Er erzählte mir von der Foto-Arbeitsgemeinschaft und wie er dadurch auf den Geschmack gekommen sei. Nein, ein Fotolabor gab's nicht in der Schule, sie hatten Lochkameras aus Pappe gebastelt, einfache Dinger, bei denen Fotopapier den Film ersetzte. "Aber ihr musstet doch unheimlich lange belichten, bei dem unempfindlichen Fotopapier." "Klar, bis zu zehn Minuten. Ich hab' sogar meinen Opa fotografiert." "Und der hat zehn Minuten still gehalten?" Er schmunzelte: "Der saß in seinem Sessel und hat geschlafen. Opa fand das Bild so Klasse, dass er mir zum nächsten Geburtstag eine einfache Spiegelreflex geschenkt hat." - Beginn einer Berufslaufbahn.


Was hat die Lochkamera mit dem Radiomann zu tun? Ich denke, es gibt durchaus einige Parallelen. Eine davon möchte ich aufgreifen, nämlich den Aspekt der Nachhaltigkeit. Wie können wir erreichen, dass nachhaltiges Interesse an einer Sache, dass nachhaltige Erfahrungen im Umgang mit der Sache erzielt werden? Dabei spielt es im Prinzip keine Rolle, ob es sich um das Interesse an Radiotechnik oder Fototechnik handelt, ob Interesse für biologische, ökologische oder soziale Zusammenhänge geweckt werden soll.

Ein entscheidender Punkt düfte der Zugang sein: einfach, verständlich, konkret, aktivierend. All diese Dinge finden wir sowohl beim Radiomann als auch in der zitierten Foto-AG wieder. Es macht keinen Sinn, gleich mit komplizierten Dingen zu beginnen. Das Kompliziertere erschließt sich viel leichter, vielleicht sogar von selbst, nachdem ein Grundinteresse aufgebaut ist. Man musste dem Jungen mit der Lochkamera nicht erklären, wie eine Blende funktioniert. Das hat er sich selber angeeignet, als er schärfere Fotos erzielen wollte. Beim Radiomann ist es ähnlich. Wer den Radioempfang in seinen elementarsten Formen erleben konnte, wird mit großer Wahrscheinlichkeit weitere Fragen stellen und sich um entsprechende Antworten bemühen.

Nun mag man zu Recht einwenden, dass zu Zeiten des Radiomanns ein komplizierterer Umgang mit der Materie schon aus technischer Sicht kaum möglich war. Verlangt der technische Fortschritt nicht einen systematischeren, aber auch komplizierteren Zugang? Um diese Frage zu beantworten, verweise ich noch einmal auf die Lochkamera. Als der junge Fotograf zehn Minuten lang geduldig das Gesicht seines Großvaters beobachtet hat, hätte er sich die Sache einfacher machen können. In der Schublade lag bestimmt eine Kamera seiner Eltern, mit eingebautem Blitzlicht. Aber sie gehörte ihm nicht.

Sich Zugang verschaffen hat immer auch etwas mit Besitz ergreifen zu tun. Versetzen wir uns einmal in folgende Situation: Im Wohnzimmer ertönt aus dem Radio eine Musiksendung. Im Kinderzimmer steht ein selbstgebautes Radio, dem mit etwas Geschick dieselbe Musik zu entlocken ist, undeutlich und leise. Welchem Radio wird das Kind wohl den Vorzug geben? Wahrscheinlich seinem Radio.

Damit ist das Thema Nachhaltigkeit noch lange nicht erschöpft, aber ich möchte den Kreis mit einer aufschlussreichen Beobachtung schließen. Den Radiomann gibt es nicht mehr, daran ändert auch der "Neue Radiomann" nichts. Es gibt aber sehr viele Erwachsene, die sich noch intensiv an ihre Elebnisse mit dem alten Radiomann erinnern, so intensiv, dass sie die Zeit zurückholen möchten. Nostalgie? Sicher, das auch. Vor allem aber ein Zeichen von Nachhaltigkeit.


Mir fällt noch eine andere Episode zum Thema "Nachhaltigkeit" ein. Meine Tochter - sie war gerade in der Oberstufe - kam zu mir und fragte, ob ich mal zwei Stunden Zeit für sie hätte. "Wir schreiben einen Physiktest über Oszillografen und irgendwas mit Kathodenstrahlen. Du hast doch bestimmt sowas in deinem Keller." "Ist morgen nachmittag in Ordnung?" "Ja ja, wir schreiben den Test erst am Freitag." - Am nächsten Tag schleppte sie gleich ihre Freundin mit an. Und so überlegten wir gemeinsam, wobei die Mädchen eifrig ihre Hefte mit Zeichnungen und Notizen füllten. Den Oszillographen im Keller brauchten wir nicht. "In der Schule hat der uns auch nur ein paar komische, grüne Linien damit vorgeführt." Mehr hätte ich ihnen ebenfalls nicht bieten können.

Kurz: Der private Intensivkurs war ein Erfolg, beide Mädchen schnitten hervorragend ab. "Der Lehrer hat uns so komisch angeguckt, als er den Test zurückgab, so, als hätten wir gemogelt." Dann grinste sie breit: "Aber wir haben uns extra nicht nebeneinander hingesetzt. Da konnte er nichts sagen." - Ich gebe zu, dass ich Verständnis für das Misstrauen des Lehrers hatte.

Ein Jahr später kam meine Tochter in den Hobbykeller, als ich gerade mit dem Oszillografen hantierte. "Was ist das denn für ein Apparat?" wollte sie wissen. Ich war erstaunt: "Ein Oszillograf. Hast du schon vergessen, dass du mal eine Physikarbeit darüber geschrieben hast?" Sie machte ein verblüfftes Gesicht. "Stimmt. Ja, da hatte ich eine gute Zensur. Dass es um diesen komischen Apparat ging, hab' ich glatt vergessen."

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