Prolog: Erinnerungen

Auf meinem Schreibtisch, direkt neben dem Computermonitor, steht seit einiger Zeit eine Radioröhre. Sie ist nicht nur Schmuckstück, sondern auch Symbol dafür, wie man Technik sinnlich erfahren kann. Man kann zwar die Elektronen nicht sehen, wohl aber den Weg, den sie nehmen. Man kann sehen, wie der Heizfaden aufglimmt. Man kann fühlen, wie die Röhre warm wird. Und wenn man die Rückwand eines alten Röhrenradios abnimmt, nimmt man den unverwechselbaren Geruch wahr, den die heißen Röhren in Verbindung mit dem Staub hinterlassen haben.

Von Zeit zu Zeit wechsle ich die Röhre aus. Mal ist es die wunderschöne RENS 1374d wie im Bild, mal eine schlichte Doppeldiode, die zur Gleichrichtung benutzt wurde. Nach und nach kommt jede Röhre dran, und jede Röhre kann eine Geschichte erzählen, von der seelenlosen, immer weniger beherrschbaren Computertechnik neben ihr ablenken, Erinnerungen wecken.

Besondere Erinnerungen werden wach, wenn die DM 300 in der Fassung steckt. Sie ist das einzige Überbleibsel des Radiomanns, den ich als Junge auf dem Weihnachtstisch vorfand. Es ist schon lange her, doch wenn ich die Röhre in die Hand nehme, fallen mir einige Versuche wieder ein, die ich damals durchführte.

Da waren die Versuche mit dem Kristalldetektor, das ständige Suchen nach einer günstigen Stelle, an der ich das sorgfältig angespitzte Drähtchen aufsetzen konnte. Da war der Ärger, wenn wieder ein Stück vom Kristall abbracht. Und da waren die Streitereien mit meinem kleineren Bruder, wenn sein Bauklotzgeklapper die leise, kaum hörbare Stimme im Kopfhörer übertönte.

Oder die Versuche mit dem Röhrenaudion. Ich erinnere mich an die beiden Flachspulen, von denen man die eine schwenken und damit auf geheimnisvolle Weise die Lautstärke ändern konnte. Ich erinnere mich an Kleinigkeiten wie die Messing-Hohlniete in einer der Spulen. Sie war vom vielen Einklemmen aufgerissen und saß nur noch locker. Ich ging sehr behutsam damit um.

Ich erinnere mich aber auch an die Rolle, die mein Vater bei den Experimenten spielte. Er war es, der den Antennendraht vom Küchenfenster zum Apfelbaum spannte oder die Schelle am Wasserhahn anbrachte. Es war mein Vater, der auf die Idee kam, die ausgediente Türklingel als Funkenerzeuger zu benutzen.

Ja, mein Vater nahm sich viel Zeit für uns Kinder, wenn sein Dienst es erlaubte. Unvergessen die Sache mit dem Trafo zu unserer elektrischen Bub-Eisenbahn. Das war, bevor ich den Radiomann bekam. Ich wollte gerne wissen, wie es im Innern des geheimnisvollen Metallkasten aussah. Mein Vater kramte einen Schraubenzieher hervor und löste die ersten beiden Schrauben, ich durfte die anderen. Dann zeigte er mir den Transformator darin, erklärte, warum so dünne, gelbe Schläuche über die Drähte gezogen waren. "Die bröckeln schon", stellte er fest, als er die Drähte wieder zurechtrückte, um die Bodenplatte anzuschrauben. Bevor er den Trafo anschloss, warnte er mich: "Junge, zieh lieber deine Beine aufs Sofa, ich weiß nicht, sicher ist sicher." Er griff nach dem Trafo und zuckte zusammen. "Nicht anfassen!" rief er. Aber es war zu spät, ich hatte meinen ersten elektrischen Schlag weg. - Während er den Trafo noch einmal aufschraubte, um die Isolierung mit Isolierband in Ordnung zu bringen, erklärte er mir eindringlich, warum es besonders gefährlich ist, wenn man mit den Füßen auf dem Boden steht.

Erinnerungen an den Radiomann, die weitere Erinnerungen anstoßen.

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